Dienstag ist für Marianne Beckert immer ein besonders schöner Tag in der Woche. Denn dann kommt Ulrike Urbanowicz vom Projekt "Zeit für Dich - Wesseling" zu Besuch. Auch wenn sie mit ihren stolzen 92 Jahren nicht immer genau sagen kann, wann Dienstag ist oder warum ihre nette Besucherin überhaupt kommt. Denn Marianne Beckert ist an einer Demenz erkrankt und hat daher manchmal Schwierigkeiten sich zu erinnern, Zeiten und Personen richtig einzuordnen. Aber das ist für die Besuche auch nicht wichtig, hier zählt nur, dass sie sich darüber freut und, wie sie ausdrücklich betont "die Chemie stimmt" zwischen den beiden Damen.
Angeregt wurden die Besuche durch Jutta Flieger, die ihre Mutter vor rund zehn Jahren aus Düsseldorf zu sich nach Wesseling holte. "Meine Mutter konnte nicht mehr länger alleine leben und als ich sie gefragt habe, ob sie sich vorstellen könnte bei mir zu leben, da hat sie sofort ja gesagt" erzählt die Tochter. Erleichtert wird das Zusammenleben durch den Umstand, dass Jutta Flieger und ihr Lebensgefährte ein Haus speziell für den neuen Bedarf umgestalten und einrichten konnten. "So hat jeder die Möglichkeit sich einmal zurückzuziehen, auch meine Mutter".
Dennoch ist die Betreuung der demenzkranken Mutter anstrengend, denn Jutta Flieger und ihr Lebensgefährte müssen rund um die Uhr für sie da sein. Als vor einiger Zeit ein Familientreffen anstand und Jutta Flieger nicht fahren konnte, da habe die Mutter ganz traurig gesagt "ich bin ja eine Belastung für Dich". Das stimmt zwar, aber mit der Nutzung entlastender Angebote wird diese Belastung einfacher zu tragen, Angehörige können "Zeit für sich" gewinnen. „Wenn diese kurzen Pausen nicht da sind, dann ist es kaum möglich eine so schwere Aufgabe über einen längeren Zeitraum zu erfüllen, ohne selbst Schaden zu nehmen", weiß Ursula Löbbe vom CBT Haus St. Lucia. "Viele Angehörige der Menschen mit Demenz versuchen, die gesamte Betreuung selbst zu leisten, oft bis zum völligen Zusammenbruch".
Damit es hierzu nicht kommt, wurde im Rahmen einer Projektgruppe des Seniorennetzwerkes Wesseling, bestehend aus Caritas, CBT, Diakonie und der Stadt, das Projekt "Zeit für Dich – Wesseling" entwickelt. Aufgrund seiner Qualitätsstandards wurde das Projekt inzwischen durch die Bezirksregierung Düsseldorf auch offiziell als niedrigschwelliges Angebot anerkannt. Ziel von "Zeit für Dich - Wesseling" ist eine Entlastung der Angehörigen der Menschen mit Demenz im häuslichen Bereich durch qualifizierte ehrenamtliche Kräfte. Ulrike Urbanowicz gehörte mit zu den ersten Teilnehmern einer 30stündigen Schulung im Frühjahr 2011. Dort hat sie viel über die Krankheit Demenz und deren Verlauf erfahren. Sie hat gelernt und vor allem auch praktisch geübt, wie man mit den Betroffenen umgeht, und welche Beschäftigungsmöglichkeiten es gibt.
Im Mai 2011 hat Ulrike Urbanowicz dann ihr Zertifikat erhalten, unterschrieben vom Wesselinger Bürgermeister Hans-Peter Haupt und den Geschäftsführern der weiteren Kooperationspartner, dem Caritasverband für den Rhein-Erft-Kreis e.V., der Caritas- Betriebsführungs- und Trägergesellschaft mbH (CBT) und der Wohnen und Leben im Alter Michaelshoven gGmbH. Denn bei "Zeit für Dich – Wesseling" arbeiten die großen Anbieter professioneller Seniorendienste konstruktiv mit der Stadt zusammen. Diese Zusammenarbeit ist auch für die Zukunft wichtig, denn Angebote zur Förderung und Stärkung der ambulanten Versorgung helfen langfristig Kosten einer stationären Betreuung zu vermeiden und entlasten dadurch die Haushalte der Kommunen. Zusätzlich entspricht es dem Wunsch der allermeisten Menschen, in der gewohnten häuslichen Umgebung versorgt zu werden.
Dies gilt auch für Marianne Beckert, die froh ist, bei ihrer Tochter leben zu können. Und das nicht nur wegen des schönen Gartens und des leckeren Essens, das der Lebensgefährte ihrer Tochter jeden Tag für sie kocht. Neben der Tagespflege, die sie regelmäßig an zwei Wochentagen besucht, helfen auch die Besuche durch Ulrike Urbanbowicz, dies weiterhin zu ermöglichen. "Durch die Anerkennung als niedrigschwelliges Angebot können die Kosten - eine Stunde Betreuung wird mit sieben Euro berechnet - meist über die Pflegekasse abgerechnet werden" erläutert Monika Kolz vom Caritasverband. "Wir helfen hierbei auch gerne, denn vielen Angehörigen fehlt die Zeit, noch ein weiteres Formular auszufüllen."
Ulrike Urbanowicz erhält für ihre Besuche keinen Stundenlohn. Die Kostenerstattungen werden vielmehr wieder direkt in das Projekt investiert. Schulungen, regelmäßige Austauschtreffen und Fortbildungen der Ehrenamtler werden so ermöglicht. Aber es bereitet ihr große Freude, einem älteren Menschen etwas Abwechslung zu bringen und durch den Einsatz eines Teils ihrer Freizeit einer Familie in der eigenen Nachbarschaft helfen zu können.
Dass die Ehrenamtler von "Zeit für Dich - Wesseling" eine besonders große Motivation mitbringen, das kann auch Jutta Flieger bestätigen. "Wichtig war für mich darüber hinaus eine möglichst passgenaue Vermittlung, und dass die Einsätze fortlaufend begleitet werden. Bei Fragen habe ich so immer einen Ansprechpartner."
Für Marianne Beckert, die immer sehr aktiv und unternehmungslustig war, ist es wichtig, dass ihre Besucherin mit ihr zum Einkaufsbummel fährt, Eis essen geht und sie am Rhein spazieren fährt. "Nur zu Haus sitzen, das war noch nie meine Sache" sagt sie. Und ihre Tochter weiß, dass sie bei allen Unternehmungen gut versorgt ist, und kann daher die Auszeit wirklich nutzen. Und hat so wieder etwas mehr "Zeit für sich".
Auch in Wesseling wird aufgrund der steigenden Lebenserwartung die Häufigkeit dementieller Veränderungen weiter zunehmen. "Wir wollen die Angehörigen hier nicht alleine lassen" betont Dirk Mertens vom Präses-Held Haus. "Wer meist viele Jahre lang oft rund um die Uhr für den Betroffenen sorgt, benötigt dringend solche Entlastungsangebote wie unser gemeinsames Projekt "Zeit für Dich - Wesseling".
Wenn auch Sie einen Angehörigen mit Demenz zuhause betreuen und sich eine zeitliche Entlastung durch ehrenamtliche Kräfte wünschen, dann nehmen Sie Kontakt mit den Projektmitarbeitern auf. Bei einem unverbindlichen, kostenlosen und vertraulichen Erstgespräch im häuslichen Umfeld können Sie erfahren, wie die Vermittlung genau erfolgt und beschreiben, was für Sie und Ihren Angehörigen besonders wichtig ist.
Informationen zum Projekt sowie Kontaktaufnahme
Monika Kolz, Caritas Sozialstation, Tel.: 02236/42038
Ursula Löbbe, CBT-Wohnhaus St. Lucia, Tel.: 02236/705-0
Dirk Mertens, Präses-Held-Haus, Tel.: 02236/8884-0
Barbara Brieden, Stadt Wesseling, 50/Fachstelle für Senioren, Tel.: 02236/701-425