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Stadt Wesseling

09.10.2008: Einzigartiger altsteinzeitlicher Lagerplatz entdeckt

Ein jüngst in Wesseling entdeckter Lagerplatz späteiszeitlicher Jäger eröffnet dank hervorragender Erhaltung neue Erkenntnisse über das Leben des Menschen vor rund 12.800 Jahren.

Nach mehr als 40 Jahren ist in Nordrhein-Westfalen erstmals wieder ein Fundplatz spätaltsteinzeitlicher (spätpaläolithischer) Jäger entdeckt worden. Seine ausgezeichnet erhaltenen Siedlungsstrukturen stellen eine außergewöhnliche Besonderheit dar. Der Lagerplatz wurde in den vergangenen Monaten durch umfangreiche und aufwändige Ausgrabungen detailliert untersucht und konnte so vor der drohenden Zerstörung im Zuge einer Baumaßnahme erforscht werden.
Die Größe der Grabungsfläche beträgt ca. 700 qm. Der einstige Siedlungsbereich war aller Wahrscheinlichkeit größer, doch sind weite Teile des potenziellen Fundareals durch ein im 2. Weltkrieg errichtetes Fremdarbeiterlager zerstört worden.
An der in Kooperation mit der Universität Köln durchgeführten Lehrgrabung waren
35 Studierende des Fachs Ur- und Frühgeschichte beteiligt.

Die in Wesseling am Rande einer pleistozänen Rheinrinne lagernden, nicht sesshaften Menschen gehörten zu den nordwesteuropäischen Federmesser-Gruppen, deren Name sich von den für diese Zeit typischen federmesserartigen Pfeilspitzen mit gebogenem Rücken ableitet. Sie lebten in einer 1250 Jahre dauernden "Warmphase" (Allerød-Interstadial) kurz vor dem Ende der letzten Eiszeit. In einer Umwelt, die annähernd mit den heutigen Verhältnissen in Mittelschweden vergleichbar ist, machten sie mit Pfeil und Bogen Jagd auf Elch, Pferd, Auerochse, Hirsch und Wildschwein.

Das über 4000 Artefakte umfassende Fundmaterial setzt sich vor allem aus Steingeräten und den Abfällen ihrer Herstellung zusammen. Von den charakteristischen Pfeilspitzen liegen zehn Exemplare vor, die zusammen mit rückengestumpften Messern, Kratzern und Sticheln ein typisches federmesserzeitliches Geräteinventar bilden.
Hervorzuheben sind acht bis zu handtellergroße Reib- oder Schleifplatten aus quarzitischem Sandstein, deren genaue Funktion noch nicht ermittelt werden konnte. Auf anderen spätpaläolithischen Plätzen sind derartige Platten äußerst selten oder fehlen ganz.

An einigen Stellen im Grabungsbereich haben sich Knochen und Zähne von der Jagdbeute erhalten. Weiterführende osteologische Untersuchungen werden klären, welche Tierarten hier erlegt worden sind und somit den Speiseplan der damaligen Menschen erhellen.

Wie kaum auf einem anderen Fundplatz lässt sich anhand der zur Herstellung der Geräte verwendeten Steinmaterialien nachvollziehen, aus welcher Gegend und auf welchem Weg die Jäger nach Wesseling kamen; z.T. ist sogar eine Lokalisierung des vorherigen Aufenthaltsortes auf einen Kilometer genau möglich. Tertiärquarzit und Chalzedon belegen, dass sie vom Süden aus dem Mittelrheingebiet kamen, am Rhein entlang bis zur Chalzedon-Lagerstätte in Bonn-Muffendorf wanderten, um danach ihr Lager am Ufer der Wesselinger Rheinrinne aufzuschlagen. In eine ganz andere Richtung - nämlich genau nach Westen - weisen Orsbach- und Lousberg-Feuerstein, die aus der Umgebung von Aachen bzw. unmittelbar aus Aachen vom Lousberg zum Lagerplatz gebracht wurden.

Einzigartige Befunde, wie sie in vorliegender Ausprägung aus dieser Zeit bisher unbekannt sind, stellen aus Flussgeröllen zusammengesetzte Steinpflaster von mehreren Quadratmetern Größe dar. Alles deutet darauf hin, dass man auf ihnen saß und verschiedene Tätigkeiten verrichtete. Vermutlich besaßen sie - noch mit weicheren Materialien gepolstert - eine isolierende Funktion gegen den feuchten Auenlehm.

Zentrale und wichtige Punkte innerhalb eines Lagers bildeten Feuerstellen, von denen zwei in Wesseling freigelegt werden konnten. Beide zeichnen sich durch das Vorkommen von zerbrannten Quarzgeröllen aus, die nach ethnographischen Parallelen in erhitztem Zustand als eine Art Grillrost dienten. Feuerstellen in der vorliegenden Erhaltung stellen eine echte Rarität im Spätpaläolithikum dar. Verbrannte Knochen und Artefakte belegen, dass es noch einen dritten Herd gab, doch ist seine genaue Lokalisierung bisher nicht gelungen.

Eine absolute Überraschung waren kleine, rätselhafte Objekte aus Braunkohle, die man nur in den Bereich Kunst oder Schmuck einordnen kann. Die bis zu 5 cm großen Stücke sind meist flach und auffallend häufig geometrisch geformt. Es liegen runde, ovale, quadratische, rechteckige, polygonale, dreieckige und annähernd trapezförmige Exemplare vor. Für unsere Kenntnis des Spätpaläolithikums, aus dem Kunst-
gegenstände nur in geringer Zahl überliefert sind, stellen die inzwischen mehr als ein Dutzend Objekte eine fast sensationelle Bereicherung dar. Sie geben einen völlig neuen Einblick in das Kunst- oder Schmuckschaffen der mitteleuropäischen Federmesser-Gruppen.

Obwohl die Untersuchungen in Wesseling noch nicht völlig abgeschlossen sind, gibt es bereits Hinweise auf die genaue Datierung des Platzes. Bimskörner von der Eruption des Laacher See-Vulkans, die in den Lehmablagerungen unterhalb des Fundhorizonts enthalten sind, belegen, dass die Besiedlung in die letzten Jahrhunderten der Allerød-Warmphase, etwa zwischen 10 966 und 10 700 v. Chr., stattfand.

Die in Wesseling aufgedeckten Befunde und Funde müssen noch detailliert wissenschaftlich ausgewertet werden, doch schon jetzt ist sicher, dass dem Platz überregionale Bedeutung zukommt. Die Ausgrabungen liefern völlig neue Erkenntnisse zur Lebens- und Siedlungsweise, zur materiellen Kultur und Mobilität der Federmesser-Gruppen in Mitteleuropa.

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Bildnachweise

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